8. Delirium Stories
- Ryoichi Vu
- 8. Juni 2024
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Sept. 2024
Kurz vor dem Schlafengehen, habe ich mich im Bett leicht gedreht und dabei hörte ich 2 Knacksen. In der Annahme, dass es wohl ein Gelenk war entschloss ich mich zu schlafen.

Basierend auf Jannicks (ehemalige Lebenspartnerin) Besuchen
27.06. 🡪 Tag des Unfalls
28.06. Nachmittag (1. Operation: Fixateur, Hüfte, Steinmann-Pin links, Wundversorgung Ellenbogen)
Insgesamt warst du sehr sentimental, emotional und hast viele Reuegefühle ausgedrückt.
Du hast von der Vergangenheit gesprochen, vom Umgang deines Vaters mit dir und auch von deinem Umgang mit mir. Du hast dich für verschiedene Dinge entschuldigt und gesagt, ich bin eine der Personen, die dich am Besten kennt. Du hast gesagt, gewisse Dinge aus der Vergangenheit verfolgen dich (Sachen mit mir) und du weisst nicht, was du tun sollst. Du hattest dich mehrmals bedankt, dass ich dich besuchen komme. [... ] Ich habe dir gesagt, es ist schön, deine emotionale Seite kennenzulernen, du dürfest die ruhig öfters zeigen – du hast genickt. [...]
Du hattest klare Anweisungen/Bitten, wie man dir helfen kann. Z. Bsp. durften wir dir eine Hand unter den Körper legen, damit du wenigstens ein bisschen Entlastung bekommst. Und wir durften das Frottiertuch unter dir ein bisschen verschieben, damit du ein wenig aus der Starre kommst. Auch warst du sehr durstig und hattest heiss – du batest mich, dir Wind zuzufächeln, was ich auch gemacht habe.
Du hast mehrmals erwähnt, du würdest das nicht überstehen und es sei eine absolute Qual, dass du dich nicht bewegen darfst [...]. Auch hatten wir über den Unfallvorgang gesprochen – dies musste man dir erklären (mehrmals). Du konntest es selber nicht nachvollziehen: [...] «Ich kann es mir nicht erklären.» Du hast gefragt, ob du schlimm aussiehst. Ich sagte, also am Kopf und Oberkörper nicht und sonst wird alles wieder verheilen. Zum Glück hattest du einen super Helm an. Auch habe ich dir gesagt, du müsstest jetzt üben, viel Geduld mit dir selber zu haben – du hast genickt. Ich habe auch gesagt, Hiromi (Schwester) mache sehr viel für dich und das kriegen wir schon hin. [...] Hiromi hat dir den Nacken ein bisschen massiert (das war dein Wunsch).
Hiromi hast du oft mit Miyuki (Schwester in Japan) verwechselt.
29.06. Abend
Insgesamt hat dein Zustand an Verwirrtheit zugenommen, du warst nach wie vor ziemlich emotional, aber auch humorvoll. Du hattest willkürliche Personennamen erwähnt – z. Bsp. einen Henrici und einen Captain Hijack (oder so)
Du hast gedacht, du seist schon mehrere Tage/Wochen hier im Spital auf der Intensivstation und hättest schon mehrere Operationen hinter dir. Du würdest versuchen, das Spital zu verlassen, aber dir gelinge das nicht und immer wieder käme was dazwischen. Auch hast du stellenweise gedacht, du seist zuhause und dass ich «da vorne in der Küche auf der Ablage» einen Snack für dich holen sollte. Wenn ich diese Ablage nicht fände soll ich Henrici oder Captain Hijack fragen, die seien hinter dem Glas und wissen Bescheid. Du hattest deine körperliche Verfassung angesprochen und gesagt «Ich bin wohl doch nicht so unverwundbar, wie ich immer gedacht habe. Ich muss einen Gang runterschalten.» Ich habe Ja gesagt. Du hast dich über den Holunderblütensirup im Becher gefreut und hast gesagt, der komme sicher von Roberto/Marco (Radlerfreunde)(einer der beiden, bin nicht mehr sicher).
Du hast behauptet, du seist ja schon 44 Jahre alt – ich habe gesagt, nein, du bist erst 42. Das hat dich gefreut. Dann hast du mich gefragt, ob du immer noch jünger aussiehst als du bist – «auf jeden Fall», habe ich geantwortet. Dann kam etwas Lustiges. Du hast eine Pflegerin gerufen: «Hey duuu» - «Ja?» «Kannst du mal hierherkommen?» «Wie alt schätzt du mich?» «Hmm – das ist schwer zu sagen … ich würde sagen 29.» «Wirklich? Dann bin ich ja noch jung.» haha
Du hast von deinem Umfeld gesprochen und gesagt, die Leute von der Rennvelogruppe seien alles ganz tolle und gute Menschen. Aber dass es in deinem Umfeld auch Personen mit viel Egoismus gebe, und das fändest du nicht gut. Auch sprachst du von Personen, die dich nur ausnutzen wollen – du hast aber niemanden namentlich erwähnt. Dann hast du gesagt, du möchtest einfach eine Person finden, die mit dir Sachen unternimmt und dich so akzeptiert, wie du im Inneren bist. Du hättest keine wirklichen Ansprüche. Ich habe gesagt, Ansprüche/Erwartungen an andere sind normal und dass du die auch durchaus haben sollst [...]. [...] Du hast mich gefragt, was du an dir ändern solltest – ich habe geantwortet: «Du solltest vor allem geduldiger werden mit den Menschen um dich herum – vor allem aber mit dir selbst.» Du hast genickt.
Wieder war dir heiss und ich habe dir Luft zugefächelt. Dann schliefst du schnarchend ein (lol).
30.06. 🡪 1. OP, 08:00 Uhr (2. OP: Hüftkopf)
Pflegepersonal wird auf deine schlechte Stimmung aufmerksam nach deinem Aufwachen. Du hattest negative Gedanken. Dies hatten sie Hiromi mitgeteilt.
1.07. Nachmittag
Pflegepersonal sagt, du befändest dich in einem Delir. [...]
Am Kopf – vor allem um die Lippen herum hast du auffällig viel geschwitzt. Du hast gedacht, es wäre heute Montag (es war Samstag).
Du hast die eine Pflegerin gebeten, zu dir zu kommen und ihr gesagt, du seist ein rational denkender Mensch und verstehest nicht, was hier mit dir vor sich gehe. Den Verband am rechten Arm bei Ellenbogen sollte sie sofort entfernen – denn so verbinde man ja keinen Bruch. Sie hat dir dann erklärt, du hättest dort auch keinen Bruch, sondern eine grössere Schürfwunde. Sie hätte es gerade frisch einbandagiert und könne es jetzt nicht abnehmen. Du wurdest ziemlich laut und auch etwas aggressiv und sagtest, du möchtest jetzt endlich aufsitzen und die Infusion endlich weghaben. Man halte dich hier gefangen und du wurdest verwechselt mit dem Fallschirmspringer – er brauche im Gegensatz zu dir Operationen, aber du wärst mit ihm vertauscht worden. (Das hat etwas Wahres dran: denn in den ersten zwei Nächten auf der Intensivstation lag gegenüber von dir tatsächlich ein junger Mann, der einen Unfall beim Fallschirmspringen hatte – unglaublicherweise, hatte er sich keine Knochenbrüche zugezogen, war aber im Koma – bei dir ist es sozusagen umgekehrt. Das musstest du irgendwie mitbekommen haben.)
Dann hat Hiromi dir einen Handspiegel gegeben, damit du deine Verletzungen sehen kannst und dann weisst, es lügt dich niemand an und dass du nicht umsonst im Spital bist. Auch hat Hiromi ein paar Fotos gemacht – z. Bsp. von deinem Bein und wir haben dir zusätzlich eine Kopie einer Röntgenaufnahme deiner Hüfte gezeigt, wo man die Schrauben erkennen kann. Das hat dir ein bisschen geholfen, zu verstehen, was passiert ist und dass du hier nicht umsonst im Bett liegst. Du hast angefangen, an deinem Messkabel an der linken Brust herumzuziehen. Schliesslich hast du es weggerissen. Die Pflegerin hat es dann wieder angebracht.
Insgesamt warst du sehr gereizt – du warst sehr misstrauisch uns gegenüber und hast gesagt, wir würden alle unter einer Decke stecken und wir verfügten über dich – du würdest hier gefangen gehalten. Dann wurdest du irgendwann sehr schläfrig und hast dann aber begonnen, sehr wirres Zeugs zu reden. Hier ein paar Beispiele (auch lustige Sachen):
Du sagtest, es gehen hier im Spital komische Dinge zu und her. Gestern wolltest du mit dem Taxifahrer abhauen vom Spital, aber es gelang euch nicht. Wir haben gesagt, wir beobachten die Situation. Du hast gesagt, das bringe nichts, denn du hättest schon alles durchschaut.
Du hast Fetzen einer Story von einer Art Gang erzählt: das sind Personen, die z. T. Karate können und ich wisse genau, was du damit meinst (xD), diese Gang wollte dich ins Spital bringen. Ihr wart auf der Flucht.
Du hast behauptet, ich sei eine Ausserirdische und es gibt einen Kampf mit den Minions (wir möchten noch gerne wissen, ob die Minions gut oder böse sind, haha) Ausserdem hätte ich jemanden umgebracht auf dem Gang.
Du wolltest dein Handy haben. Hiromi hat dir gesagt, das sei beim Unfall kaputt gegangen, sie besorge dir aber ein Ersatzhandy. Sie hat deine SIM vorübergehend in ein älteres Samsung getan bis das neue kommt – dieses Handy hatte sie auch dabei und dir gegeben. Du wurdest dann misstrauisch – denn du hast gemerkt, dass das nicht dein original Handy sei und gesagt «Ja, ja, seht ihr – irgendetwas stimmt hier nicht.»
Du wurdest dann wieder sehr schläfrig. Du hast Hiromi gebeten, dich ein wenig am Nacken zu massieren – hat sie gemacht. Wir haben auch ein wenig deine beiden Füsse bewegt – das wolltest du gerne. Am Tag zuvor hat dir [...] (deine Nichte) ihren Nuggi geschenkt. Den haben sie rechts an deinem Bettgestell angebracht mit einer rosaroten Schlaufe. Du wolltest den Nuggi haben, also haben wir ihn abgemacht und dir in die Hände gegeben – du hast mit ihm kurz gespielt mit den Händen. Dann hast du ihn mit einer sehr selbstverständlich wirkenden Geste direkt in den Mund gepackt und begonnen zu nuckeln (Hiromi und ich mussten uns bemühen, nicht laut loszulachen). Der Nuggi hat dich aber wirklich etwas beruhigt. Dann ging Hiromi auch raus und ich war kurz alleine mit dir. Du batest mich, ich soll dir einen hohlen Rücken machen. Ich habe gesagt, das gehe nicht. Dann hast du gesagt: «Siehst du, du schlägst mir jetzt plötzlich so kleine Bitten ab. Du bist eine Verräterin.»
Dein Vater kam herein und hat dir gesagt, [...] (deine Mutter) komme am Mittwochmorgen (aus Japan) zurück. Dir war heiss und du hast dein «Spitalkleid» hochgezogen. Dabei kam das Fixiergestellt an deiner rechten Hüfte zum Vorschein. Du hast das mit den Händen ertastet und angefangen, dort herumzufummeln. Wir haben dann dem Pflegepersonal Bescheid gesagt.
02.07.
Die Nacht auf den 2. Juli war sehr unruhig, man musste dich ans Bett binden zu deiner eigenen Sicherheit. Der Besuch von Roberto und Diogo hat dir gutgetan. Du hast dich etwas beruhigt und hast im Verlauf des Abends auch etwas Birchermüsli gegessen und vom Proteinshake getrunken 😊
03.07. 🡪 2. OP, 08:00 Uhr (3. & 4. OP - Femur Oberschenkel, Beckenring)
Du hast eine unruhige Nacht hinter dir. Du wirst nach der OP ins künstliche Koma versetzt – voraussichtlich bis Mittwoch (=2 Tage).
Sie hatten dich bereits nach ein paar Stunden aus dem künstlichen Koma geholt, weil du schon sehr stabil warst. Insgesamt warst du nur ein paar Stunden im künstlichen Koma und bist am 03. 07. am Abend schon wieder aufgewacht. Dein Zustand an Verwirrtheit ist schon viel besser geworden.
04.07. Nachmittag (5. OP - Clavicula rechts)
Das war die erste ruhige Nacht für dich, du konntest an einem längeren Stück schlafen und bist nun psychisch viel besser unterwegs. Das freut uns extrem. Heute steht noch die Schlüsselbein-OP an. Dann hast du es geschafft.
[...]
Deine Stimmung war ähnlich wie am Tag nach der 1. OP (2. OP): sehr emotional und du hast dich oft bedankt bei Hiromi und mir gegenüber erneut grosse Schuld- & Reuegefühle gezeigt. Es ging dir mental sichtlich besser, du hattest einen viel klareren Kopf. Du sagtest, du könntest dich praktisch nicht an die vergangene Woche erinnern. Als die Pflegerin dich fragte, ob du Wasser trinken willst, hast du gesagt « Ja gerne, ein Glas Wasser und dann bitte das Velo.» (haha) Es hiess, du dürfest schon bald an die Bettkante sitzen und bekämst bald einen Rollstuhl. Sie haben an diesem Tag auch begonnen, deinen Magen anzuregen, damit du gut vorbereitet bist, wenn du wieder normal essen kannst.
05.07. Abend
Heute kommt [...] (deine Mutter) aus Japan zurück und ebenfalls heute kannst du endlich dein Einzelzimmer beziehen – Intensivstation – adé! Bravo, bravo. [...]
Du hast ein super Zimmer mit Zugang zu einer Terrasse mit Blick auf die ETH-Kuppel. Du hast dich viel bedankt und bist wieder einigermassen klar im Kopf. Du hast gesagt, du wirst das Velofahren aufgeben und dir was Neues suchen müssen. Du hattest das Gefühl, eine Spinne krabbelt dir über das Bein – keine Spinne weit und breit. Evtl. hat es dich dort gejuckt. [...]
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